Fluch der Akribik

ScriptedReality & Pirat*innen der Schwarzen Null

Fluch der Akribik

ScriptedReality & Pirat*innen der Schwarzen Null

ScriptedReality arbeiteten in Gießen über mehrere Monate mit Mitwirkenden aus unterschiedlichsten Kontexten zusammen. Gemeinsam beschäftigten sie sich mit den Verbindungen von Arbeit, Nationalismus und Migration. Ergebnis der Zusammenarbeit ist „Fluch der Akribik“, ein Abend zwischen B-Movie und Kuchenessen, rough, völlig dilettantisch und ein behauptetes Détournement des ähnlich lautenden Disneyfilms: Ein Schiff erscheint eines Tages in einer hessischen Kleinstadt, und wird vom Jobcenter als außergewöhnliche Eingliederungsmaßnahme angepriesen, in der jede*r einen Platz erhält. Doch die „Schwarze Null“ tarnt sich locker als Kunstprojekt und könnte ebenso verflucht sein wie die „Black Pearl", das Geisterschiff aus der Karibik. Gemeinsam begeben sich die Pirat*innen auf Abenteuer durch Stürme, Probebühnen und die deutsche Bürokratie, wobei unklar bleibt, ob das Schiff Rettung oder Fluch ist. Sicher ist nur, dass alles neu gedacht werden muss.

Infos

Dauer: ca. 60 Min
Sprache: Deutsch und Englisch
Von und mit: ScriptedReality (Tilman Aumüller, Luis Krawen, Arthur Romanowski, Arne Salasse, Ruth Schmidt) und den Pirat*innen der Schwarzen Null
Mit besonderem Dank an die Arbeitsloseninitiative Gießen e.V. und den Rainbow-Refugee-Treff im Hans-Peter-Hauschild-Haus Gießen, Amir Motearefi, den Marineverein Gießen, und Pits Pinte.

Produziert von ScriptedReality in Kooperation mit dem Mousonturm Frankfurt. Gefördert von Hessische Landesstiftung „Miteinander in Hessen“, der Hessischen Theaterakademie, der Stadt Frankfurt am Main, dem Kulturamt Gießen, der Autorenstiftung Frankfurt am Main, und der Kulturstiftung Gießen.

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FLUCH DER AKRIBIK ist partizipatives Communityprojekt und Film: Mehrere Monate hat sich die Frankfurter Künster*innengruppe ScriptedReality mit Besucher*innen des Rainbow- Refugees-Treffs im Hans-Peter-Hauschild-Haus in Gießen und Besucher*innen des Cafés der Arbeitsloseninitiative in Gießen getroffen. Gemeinsam haben sie sich mit Arbeitswahn und Migration, mit Piraten und dem großen Kuchen beschäftigt – und natürlich mit dem Filmemachen.
Herausgekommen ist ein Film, der versucht, Fixiertes zu verflüssigen, der überraschende Verbindungen zieht und die Ebenen durcheinander bringt.

In einer Kleinstadt in Hessen erscheint ein Schiff; es wird vom Jobcenter als Eingliederungsmaßnahme für alle angepriesen, in der Jede*r einen Platz erhält. Aber das Schiff trägt den Namen Schwarze Null und verweist damit zum einen (ebenso wie der Titel FLUCH DER AKRIBIK) auf die Black Pearl, das Geisterschiff aus dem ähnlich klingenden Disneyfilm, auf dem die Piraten gezwungen sind, wie Zombies so lange zu arbeiten, bis ein Fluch, (der dort unweigerlich mit Kolonialismus in Verbindung steht), aufgelöst wird. Andererseits ist die Schwarze Null das Glaubenssymbol und Kredo deutscher Finanzminister, die Schwarze Null, auf die alles kommen muss, die es immer zu retten gilt, für die man arbeiten muss, für die gekürzt wird, für die Hartz IV eingeführt wurde, und die für den Wohlstand des Landes steht.

FLUCH DER AKRIBIK jedoch versucht, diese Ideologie infrage zu stellen. Die Welt der akribisch bürokratischen Kontrolle, der sich Refugees wie Arbeitslose in Deutschland gleichermaßen ausgesetzt sehen, wird mit dem Meer der Karibik, Deutschland mit einem Piratenschiff überlagert und so Vorstellungen von Besitz, davon, wer warum welches Recht hat wo zu leben, und von der alles definierenden Arbeit ins Wanken gebracht.

FLUCH DER AKRIBIK versucht zu zeigen, was nicht gesehen wird: Wenn hierzulande gesagt wird, dass die Arbeit zentral ist, weil sie die Grundlage unseres Wohlstands bildet, dann muss man einen Schritt weiter gehen und sehen, dass der vermeintlich feste Boden unseres Wohlstands eigentlich das schwankende Meer ist, auf dem Handel betrieben wird, zumal im Falle von Deutschland als Exportland.

So liegt Gießen am Meer, und es ist unklar, ob die Schwarze Null Staatsschiff ist, oder doch Piratenschiff. Es ist unklar ob sie Rettung oder Fluch ist, für die, die auf ihr leben und denen, denen sie begegnet. Es verschwimmt, wer Migrant*in ist, wer Einheimische*r, und feste Identitäten geraten ins Schwanken. So spielt einer der Angeheuerten – oder bildet sich ein – von Guttenberg zu sein, ein Arbeitsmigrant oder Flüchtling auf dem Weg nach Amerika, für den die Flucht natürlich viel einfacher ist. Wer über Migration redet, muss vor allem über die Migration von Europäer*Innen nachdenken.

FLUCH DER AKRIBIK ist so der Versuch, ausgehend vom Thema des „deutschen Arbeitwahns“, die heterogenen Interessen verschiedener Gruppen und Menschen mithilfe einer Fiktion, an der sie anknüpfen können, zusammenzubringen, ohne dass eine geschlossene Geschichte entstehen musste. So war für Besucher*innen des Rainbow-Refugee-Treffs, die vor extremer Homophobie und Transphobie und zum Teil körperlichen Angriffen auf ihr Leben aus der Karibik geflohen sind, viel wichtiger, dass in Deutschland die Ehe für alle erlaubt wurde, als das Thema Arbeit. Aber sich für etwas anderes zu interessieren, ist vielleicht genau der richtige Kommentar dazu, dass es wichtigeres gibt als die Aufforderung des Jobcenters an Erwerbslose und Geflüchtete, arbeiten zu gehen.