Glory

Jeremy Wade

(c) Dieter Hartwig
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Glory

Jeremy Wade

Update: Die Veranstaltung muss leider ausfallen. Tickets werden über die jeweilig genutzte Vorverkaufsstelle rückerstattet. Mehr Infos dazu finden Sie hier.

Ein liebevolles Lächeln, das zum teuflischen Grinsen mutiert. Zwei Körper, von eruptiven Ausbrüchen geschüttelt, zitternd und zuckend, verletzlich und energiegeladen zugleich. Das Bessie-prämierte Stück „Glory“ des in Berlin lebenden Choreografen Jeremy Wade ist auch in seiner vierten Bearbeitung von mitreißender Intensität. Ein bedingungsloses, nacktes Duett, in dem Wade und der Tänzer Sindri Runudde die Brutalität durchleben, die Normen auf den Körper ausüben. Zu den mitreißenden Elektrosounds von Lou Drago ringen zwei Körper mit Agonie und Ekstase und entwickeln einen Tanz der Nicht-Zugehörigkeit, in dem die Gegenpole von Scham, Reue, Erniedrigung, Rausch, schließlich Unterwerfung und Hingabe umgeformt und durchbrochen werden.

Infos zur Präsentation auch hier: www.tanzfestivalrheinmain.de

Infos

Dauer: 55 Min.
Keine Sprachkenntnisse erforderlich

Kein Einlass ohne Mund-Nasen-Bedeckung! Auch während der Vorstellung muss eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen werden. Mehr Infos zu Hygiene und Sicherheit

Beteiligte und Förderer

Konzept, Choreografie: Jeremy Wade
Performance: Jeremy Wade, Sindri Runudde
Musik: Lou Drago
Licht: Andreas Harder
Probenleitung: Michael Rolnick
Künstlerische Unterstützung, Assistenz: Darcey Bennett

Eine Produktion von Jeremy Wade: Unterstützt durch Dance Theatre Workshop und Jerome Foundation's First Light Program. Mit Dank an Springdance und Tanztage Berlin. Die Wiederaufnahme wurde unterstützt durch die Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa. Unterstützt durch das NATIONALE PERFORMANCE NETZ Gastspielförderung Tanz, gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, sowie den Kultur- und Kunstministerien der Länder. Als Teil der Reihe „Corponomy – Politiken des Körpers in Tanz, Performance und Gesellschaft“ gefördert durch die Bundeszentrale für Politische Bildung.

„Glory“ ist eine Veranstaltung im Rahmen der Tanzplattform Rhein-Main. Die Tanzplattform Rhein-Main, ein Projekt von Künstlerhaus Mousonturm und Hessischem Staatsballett, wird ermöglicht durch den Kulturfonds Frankfurt RheinMain und gefördert vom Kulturamt der Stadt Frankfurt am Main, dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst und der Stiftungsallianz [Aventis Foundation, BHF BANK Stiftung, Crespo Foundation, Dr. Marschner-Stiftung, Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main].

Mehr Informationen

Unsere Körper sind elektrisch aufgeladen

 

Postmodern, post-fucked, post mortem: Der Tänzer und Choreograf Jeremy Wade erinnert sich an sein extrem körperliches Künstlerwerden im New York der Jahrtausendwende. Als Reaktion darauf entstand „Glory“, das er nun wieder aufgenommen hat.

VON JEREMY WADE

„Glory“ war das erste Stück, das ich als junger Choreograf in New York City ab 2003 erarbeitet habe. Ein brutales, nacktes Duett, ein Tanz der Nicht-Zugehörigkeit, eine Enteignung der glatten, fließendenden sozialen Codes, die die alltäglichen Gefühls- und Verhaltensmuster menschlicher Interaktion ausmachen und die Vorstellungen von festgelegter Subjektivität. Das Duett wirft auf eine im Grunde widerliche, zutiefst körperliche Art ontologische Fragen auf und erkundet, wie die Gegenpole von Scham, Reue, Erniedrigung, Ekstase, schließlich Unterwerfung und Hingabe umgeformt und durchbrochen werden.

Es war nicht leicht, Ende der 1990er Jahre als junger Künstler in New York City erwachsen zu werden. Es waren die Jahre nach der AIDS-Epidemie, die so viele Tänze gelöscht hat. Ich begann mein Tanzstudium im Licht der Postmoderne an der School for New Dance Development in Amsterdam, wo mich die kühnen, queer-feministischen Künstlerinnen Katie Duck und Gonie Heggen beeinflussten. Nach meiner Rückkehr nach New York City stellte ich allerdings fest, dass hier ausschließlich die Hyperfunktionalität des Körpers angesagt war. Alles drehte sich um die sogenannten somatischen Praktiken, deren Ziel es ist, ein fließendes, entspanntes, pendelgleiches Schwingen zu produzieren. Gefällig anzuschauen, angenehm auszuführen, als ganzheitlich etikettiert, aber letztendlich eine behagliche Kunstfertigkeit für die weiße Mittelschicht, ausgerichtet auf Effektivität und Produktivität.

Im Gegensatz dazu waren die Tänze, die aus mir kamen, nervös und unbehaglich. Ich gab mich ekstatischen Grotesken hin, einem emotionalen und körperlichen Kontinuum, einem Essentialismus der Widerlegung, den ich „ Articulating Disorientation“ nannte. Ich arbeitete mir damals den Arsch wund, als Barkeeper, Go-Go-Tänzer, Anstreicher und Stricher, und überlebte den Big ( Badass) Apple nur knapp. Ich habe im „The Cock“ in der Avenue A gearbeitet, seinerzeit die anrüchigste und unglaublichste Schwulenbar des Universums. Du bekamst dort schon Syphilis vom Sitzen auf dem Sofa. Ich habe eine Menge Drogen genommen, eine Menge Sex in Darkrooms gehabt, mich wild kostümiert und bei den legendären Foxy-Parties nackt in der Menge gebadet.

Kurz gesagt, in meinen Zwanzigern bewegte ich mich durch die Welt mit weit aufgerissenen Augen, einem langsam heraufziehenden Nervenzusammenbruch und einer gigantischen Dauererektion. Mein Absturz war gewaltig; die Twin Towers fielen, und praktisch über Nacht trat als neue Weltordnung die Schock-Doktrin der Gentrifizierung in Kraft. Ich nannte das Genre, in dem sich meine Choreografie-Kollegen bewegten – und ich mich – nicht postmodern, sondern post-fucked. Wir waren post mortem.

In „Glory“ sind viele dieser Erfahrungen enthalten, das Stück wurde zu ihrem Aufbewahrungsort. Mich faszinierte die Politik der Ekstase und Unterwerfung. Ich machte Notizen, wenn ich abstürzte und verzeichnete penibel mein dialektisches Verhalten zwischen Speichelleckerei und Manie. Zu gut kannte ich diese Momente auf den Tanzflächen, wenn „she was feeling it!“: die rollenden Augen und die zur Seite geworfenen Beine und Arme. Mir begegneten solche sich entfaltenden Körper auch in den ekstatischen Tänzen von Pfingst-Gemeinden, wenn Mitglieder „die Kraft des Heiligen Geistes“ empfingen, der sie durchrüttelte bis zu einer ungeheuerlichen Auslöschung. All diese Verhaltensprinzipien fanden ihren Weg in die Arithmetik von „Glory“: Affekt als Kraft, das Kind als Gipfel der Trance; aber am wichtigsten das Gefühl, dass Hingabe ein Ort undifferenzierter Schwingungen war, oder, wie ich es gern ausdrücke, ein Ort des „alles ist neu“.

„Glory“ ist ein Geschenk der queeren Götter. Für mich ereignete sich „Glory“ in geschmähten Räumen, unheilig und profan, während der frühen Morgenstunden. Vom AIDS-Aktivisten, Kurator und Autor Douglas Crimp stammt der berühmte Satz: „Unsere Promiskuität wird uns retten.“ Ich bin eine Hure. Ich öffne meine Löcher für euch, und ich tue es auch auf der Bühne. Ich werde bezahlt, es herrscht ein Konsens. Meine Promiskuität ist eine queere, utopische, extrovertierte und extrem inklusive Sozialität. Sie ist ein Plädoyer dafür, gemeinsam anders zu sein, eine sinnliche Form wechselseitiger Abhängigkeit. Unsere Körper sind elektrisch; aufgeladen mit Perversion können wir hin und wieder ein schillerndes Anderssein erleben.

Kann eine Performance die beschissenen Geschichten umschreiben, in die wir verstrickt sind? Können wir die Mythen umschreiben, die uns trennen? Und können wir diese kritische Umschreibung statt durch Zerstörung durch gegenseitige Unterstützung erreichen? Vielleicht führt affektive Solidarität, dieses Gefühl seelischer Verbundenheit, zu der Zuversicht, dass alles gut werden wird, „that it’s going to be ok“. Wenn wir über die beschissenen Geschichten, in die wir verstrickt sind, lachen können, ist das verdammt mächtiger Scheiß. Und wenn wir die beschissenen Geschichten, in die wir verstrickt sind, betrauern können, ist das ebenfalls krass. In einem Raum voller Menschen trauern zu können, darin ist das Theater am besten. Die politische Wirkmacht der Kunst liegt also vielleicht in ihrer Fähigkeit, anders, von einer weniger gewalttätigen Zukunft, zu träumen. Und dass sie ein Zufluchtsort bleibt, an dem wir neue Mythen erschaffen, die uns durch die komplizierte Gegenwart bringen.

DEUTSCH VON KRISTIAN LUTZE