Habitat / Frankfurt (pandemic Version)

Doris Uhlich

(c) Alexi Pelekanos
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Habitat / Frankfurt (pandemic Version)

Doris Uhlich

Doris Uhlich, Spotlight Artist beim diesjährigen Tanzfestival Rhein-Main, ist eine Körperforscherin. Auf einzigartige Weise versteht es die österreichische Choreografin, die Energie, Schönheit und Kraft, die in jedem Körper schlummert, zu entdecken und seinen vielfältigen Dynamiken einen Raum zu geben. Dies ist in Zeiten des Coronavirus eine besondere Herausforderung. Dennoch lässt sich Uhlich nicht von den Hygieneregeln und vom Social Distancing beirren und schafft mit dem außergewöhnlichen Stück „Habitat“, das in einer eigenen Version in Frankfurt erarbeitet wird, einen utopischen Raum für zwanzig nackte Körper und ihr Publikum. Wie können vielfältige Körper aktuell gemeinsam einen Raum beleben? Wo finden sie einen passenden Lebensraum, ein Habitat? Behutsam tastet sich Doris Uhlich an diese Aufgabe heran. Dabei entsteht eine humorvolle und zugleich berührende Choreografie voll ungeahnter Lebensformen, die die Einheit in der Vielheit feiert und gängige Vorstellungen von Körper, von Tanz sprengt.

Infos zum Stück auch hier: www.tanzfestivalrheinmain.de

Infos

Dauer: 90 Min.
Keine Sprachkenntnisse erforderlich

Kein Einlass ohne Mund-Nasen-Bedeckung! Auch während der Vorstellung muss eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen werden. Mehr Infos zu Hygiene und Sicherheit

Beteiligte und Förderer

Konzept, Choreografie: Doris Uhlich
Performance: Lokaler Cast aus Frankfurt
DJ: Boris Kopeinig
Lichtdesign: Sergio Pessanha
Körpertanks: Proper Space (Juliette Collas, Zarah Brandl) Konfektionsfertigung, Maßschneiderei: Mick Hennig
Produktion: Nikoletta Fischer
Produktion Tanzplattform Rhein-Main / Künstlerhaus Mousonturm: Sina Schönfeld, Özlem Türkan
Administration: Margot Wehinger
Presse, Kommunikation: Jonathan Hörnig
Internationale Distribution: Something Great

Eine Koproduktion von Tanzquartier Wien und insert (Theaterverein). insert (Theaterverein) wird gefördert durch die Kulturabteilung der Stadt Wien und das Bundeskanzleramt Österreich.

"Habitat" ist eine Veranstaltung im Rahmen der Tanzplattform Rhein-Main. Die Tanzplattform Rhein-Main, ein Projekt von Künstlerhaus Mousonturm und Hessischem Staatsballett, wird ermöglicht durch den Kulturfonds Frankfurt RheinMain und gefördert vom Kulturamt der Stadt Frankfurt am Main, dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst und der Stiftungsallianz [Aventis Foundation, BHF BANK Stiftung, Crespo Foundation, Dr. Marschner-Stiftung, Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main].

Mehr Informationen

Weniger Form, mehr Energie!

 

Die österreichische Choreografin Doris Uhlich steht im Fokus des Tanzfestivals Rhein-Main. Wichtig für ihre Arbeiten ist der non-konforme Körper, dessen Fragilität und Vitalität gefeiert wird. Während des Festivals werden in Darmstadt, Wiesbaden und Frankfurt drei Arbeiten mit unterschiedlichen Formaten präsentiert – alle in Corona-gerechten Versionen. Ein Gespräch mit Doris Uhlich.

VON SANDRA LUZINA

Frau Uhlich, Choreografinnen und Choreografen sind stark eingeschränkt durch die Corona-bedingten Hygieneund Abstandsregeln. Es hat fast den Anschein, als ob derzeit ein Tanzverbot herrsche. Sie sind aber besonders betroffen, denn in Ihren Arbeiten geht es um Nacktheit, Nähe und Empathie. Wie gehen Sie mit den Beschränkungen um?

Die Corona-Pandemie ist für mich das einschneidendste Erlebnis, das ich je hatte. Mein Körper kann gefährlich sein für andere, ohne dass ich es weiß – dieser Aspekt beschäftigt mich am meisten. Ich habe ständig ein „Aufpassgefühl“ in mir – und das ist sehr anstrengend. Für mich stellt sich die Frage: Wie funktioniert meine furchtlose Kunst in dieser fürchterlichen Zeit? Gerade durchlebe ich eine Phase der Melancholie. Ich glaube aber, es ist wichtig, dass man sich dem stellt und nicht beginnt, Distanz-Theater zu produzieren. Und ich hoffe, dass wir in der Krise unseren Humor nicht verlieren. Denn sonst gehe ich wirklich unter!

Sie haben viel Aufsehen mit der Performance „Habitat“ erregt, bei der sich die nackten Performer und Performerinnen sowie das Publikum im selben Raum bewegen. In Zeiten des „Social Distancing“ geht das nicht mehr. Werden Sie das Stück nun modifizieren?

In „Habitat“ geht es um einen utopischen Körperraum. Das Stück schreit nach körperlicher Nähe und nach Empathie, die man körperlich ausdrücken kann – und hier macht COVID-19 einen Strich durch die Rechnung. Ich stehe im engen Kontakt mit Anna Wagner, der Dramaturgin am Mousonturm. Wir überlegen gerade: Was ist ein „Habitat“ mit Körperabstand, mit einer Vorsicht, aber trotzdem mit einer Lebendigkeit?

Welche Eingriffe werden Sie vornehmen?

Es könnte funktionieren, indem man den Performerinnen und Performern einen Ort zuweist – die Zuschauerinnen und Zuschauer könnten sich dann immer noch frei durch den Raum bewegen. Ich werde versuchen, den Atem so zu choreografieren, dass die Aerosole nicht zu Überträgern werden können. Außerdem entwerfe ich mit meinem Team gerade transparente Kostüme, Körpertanks.

Das klingt nach Science-Fiction!

Leider ist es die Gegenwart. Das Kostüm spiegelt das wider. Ich möchte den nackten Körpern durch die Kostüme ermöglichen, sich zu verausgaben und sich zu berühren – und wenn’s nur 15 bis 20 Minuten sind.

In ihren Arbeiten geht es immer wieder darum, Körpernormen und Schönheitsdiktate zu hinterfragen. Nackte Körper spielen dabei eine große Rolle. Wie setzen Sie die Nacktheit ein?

Ich versuche, der Nacktheit kein konzeptuelles Korsett umzuschnüren. Es geht mir darum, das nackte Sein zu leben – und auch den Humor zu zeigen, der im nackten Körper steckt. Es geht weniger um die Form, mehr um die Energie. Weniger um das äußere Bild, sondern darum, wie sich diese Nacktheit anfühlt. Ich versuche, die emanzipatorische Kraft von Tanz zu nutzen – meine Arbeit ist für alle Körper zugänglich.

Sie haben eine „Philosophie des Fleisches“ entwickelt, die Ihren Stücken zu Grunde liegt. Können Sie die kurz umreißen?

Ich begreife den Körper als ein Einlagerungssystem. Die Haut ist keine undurchlässige Barriere, sondern wir sind transparente Wesen, die sich in dieser Welt bewegen. Wir lagern unsere eigene Biografie in uns ein, aber auch die Biografie der Welt – und die Ängste, die unsere Gegenwart produziert. Ich habe bemerkt: Über das Schütteln des Fleisches beginnen sich diese Einlagerungen zu bewegen. Darauf liegt der Hauptfokus meiner Philosophie: Du kannst dein Archiv in Bewegung versetzen. Lass es nicht erstarren.

Lassen sich denn durch dieses Schütteln und Vibrieren auch äußere Zuschreibungen abschütteln?

Ja, das kann ich unterschreiben, dass sich dadurch Vorstellungen von Tanz, Körper und Nacktheit neu sortieren. Schütteln ist ja auch eine schamanistische Praxis, wie wir wissen.

Diese spezifischen Körpertechniken haben Sie in „Every Body Electric“ für Menschen mit körperlichen Behinderungen erprobt. Waren Sie überrascht, wie gut das angenommen wurde von den Ensemblemitgliedern?

Es war mehr Begeisterung als Überraschung! Bei einem Workshop haben wir mein Konzept der „Energetic Icons“ angewendet – so nenne ich die Suche nach individuellen und kollektiven Energietanzschritten. Es ging darum, sich zu elektronischer Musik zu bewegen, in wiederholende Bewegungsmuster zu gelangen, die wie ein körpereigener Treibstoff funktionieren. Es hat das gesamte Ensemble überrascht, wie gut das funktioniert. Die Gruppe und ich kamen dann auf die Idee, die Rollstühle zu zerlegen und diese in die Energietanzschritte zu inkludieren, wie eine Art Körpererweiterung.

Deutlicher als bei Kolleginnen und Kollegen beschäftigen Sie sich mit einem Kern-Thema: dem nicht-konformen Körper. Um den geht es auch in Ihrem Solo „mehr als genug“. Ist dies das Manifest einer Unangepassten?

Im Zentrum steht der Körper als Markenzeichen. Ich gehe der Frage nach: Was bedeutet es, einen korpulenteren Körper zu haben in einer Tanzwelt? Wo doch heute vermeintlich jede Form von Körper auf der Bühne erscheinen kann. Das Solo entstand 2010. Aber es gibt immer noch viel zu tun im Hinblick auf eine körperliche Offenheit.

Durch die Pandemie verändert sich unser Blick auf Körper. Ihre Performances feiern den nicht-konformen Körper in seiner Fragilität und Vitalität und können da wie ein Korrektiv wirken. Schwingt in ihrer Arbeit denn auch etwas Therapeutisches mit?

Ich bin Künstlerin. Mich interessieren bestimmte Bewegungen in ästhetischer Hinsicht; das verbindet sich dann mit meinem Interesse für Energie und Bewegung. Aber ich weiß, dass meine Arbeit auch einen therapeutischen Charakter haben kann. Und wenn Kunst beides verbinden kann, Ästhetik und eine Form von Heilung – warum denn nicht?