Sonne

Doris Uhlich

(c) Gerd Schneider
(c) Gerd Schneider
Doris Uhlich steht auf der Bühne und hat eine Nebelmaschine in der Hand. Sie trägt eine schwarze Lederjacke und eine rote Skibrille.
(c) Gerd Schneider
Auf dem Bild sind die Künstlerin Doris Uhlich und ein 10 Jahre altes Mädchen, die sich in einem dunklen Bühnenraum gegenüberstehen. Sie tragen beide dunkle Kleidung und hinter ihnen liegt auf dem Boden ein Schlauch. Auffällig sind die gelben Moon Boots, die Doris Uhlich trägt.
(c) Gerd Schneider
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Sonne

Doris Uhlich

Rund achteinhalb Minuten braucht das Sonnenlicht, bis es unseren Planeten erreicht. Die Sonne arbeitet ununterbrochen, um das Licht und die Wärme zu machen, ohne die es auf der Erdoberfläche kein Leben gäbe. Dafür wird sie geliebt und verehrt. Zunehmend wird sie aber auch als bedrohlich wahrgenommen oder als aggressiv dargestellt. Dabei schaut die Sonne selbst nur ohnmächtig auf die Erhitzungen, Brände und Verbrennungen, die sie in Zeiten des anthropogenen Klimawandels anrichtet.

„Sonne“ ist der zweite Teil von Doris Uhlichs Melancholie-Trilogie. Gemeinsam mit einem Kind, der zehnjährigen Romy Nagl, widmet die österreichische Choreografin und Tänzerin dem Himmelskörper, der fast alle und alles anstrahlt und Existenzen ebenso ermöglicht wie zerstören kann, eine Sonnenschau, in der sie physikalische, künstlerische und kulturgeschichtliche Dimensionen miteinander verknüpft.

Infos

Dauer: 70 Min.
Sprache: Deutsch und Englisch
für alle ab 16 Jahren
Entfällt wegen des Streiks: 08.03. Das Künstlerinnengespräch im Anschluss an die Vorstellung mit Doris Uhlich und Fabian Korner, Kulturwissenschaftler*in und Inklusionsaktivist*in, kann leider nicht stattfinden.

Hinweis zu sensorischen Reizen:
Szenen mit viel Nebel und starkem Lichteffekt

am 08.03. Tastführung und Audiodeskription

 

— Live-Audiodeskription in deutscher Sprache für blinde und sehbehinderte Zuschauer*innen mit vorangehender Tastführung.
— Die Tastführung beginnt um 19.00 Uhr und dauert ca. 30 Minuten. Der Treffpunkt ist vor dem Eingang zum Saal.
— Die Empfangsgeräte und Kopfhörer für die Audiodeskription erhalten Sie am Saaleingang vom Vorderhauspersonal.
— sagen Sie uns gern via barrierefreiheit@mousonturm.de oder + 49 (0) 1590 184 70 05 Bescheid, wenn Sie Audiodeskription & Tastführung in Anspruch nehmen möchten

 

Beteiligte und Förderer

Konzept, Choreografie: Doris Uhlich
Performance: Doris Uhlich, Romy Nagl
Dramaturgie: Sandra Umathum
Bühnenbild: Juliette Collas
Bühnenmitarbeit: Marco Tölzer
Lichtdesign: Leticia Skrycky
Sound: Boris Kopeinig
Text: Boris Kopeinig, Doris Uhlich
Kostüm: Doris Uhlich
Performance-Coach Kind: Yoshie Maruoka
Movement and Voicework Advisor: Mani Obeya
Outside Eye: Adam Czirak, Nikolaus Selimov
Social Media: Esther Brandl
Company Management, Produktion: Margot Wehinger
International Distribution: Something Great

Koproduktion: Festspielhaus St. Pölten, Volkstheater Wien, Theater Rampe Stuttgart und insert Tanz und Performance GmbH / Personale Doris Uhlich Koproduktion Innsbruck International. Biennial of the Arts 2024 (Uraufführung Extended Version, Tiroler Landestheater)

Gefördert durch die Kulturabteilung der Stadt Wien und das Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport.

Gefördert im Rahmen des Bündnisses internationaler Produktionshäuser von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Mit freundlicher Unterstützung des Freunde und Förderer des Mousonturms e.V.

Interview mit Doris Uhlich

Interview von Stephanie Serles, September 2023
(Originalbeitrag für das Festspielhaus St. Pölten,
gekürzte und leicht bearbeitete Version)

 

Ob wir den Fernseher aufdrehen, Radio hören oder auf Social Media scrollen: Es gibt kein Thema, das den Alltag so beherrscht wie die Klimakrise. Im Juli wurde der global heißeste Tag seit Beginn der Aufzeichnungen gemessen. Bei einem Stück mit dem Titel „Sonne“ kommt man nicht umhin, an all diese Meldungen zu denken. Gab es einen konkreten Ausgangspunkt für deine Arbeit?

Das Thema der Klimakrise rückt immer näher an uns heran. Jeder spürt sie, jeder sieht sie, sie ist sozusagen sonnenklar. Was mich aber prinzipiell beschäftigt, ist, wie sich unsere Beziehung zur Sonne verändert hat. Als Kind hatte ich zu ihr eine komplett andere Beziehung als jetzt. Das hat natürlich damit zu tun, wie ich auf-gewachsen bin: In den 1980er- und 1990er-Jahren, als ich Kind und Jugendliche war, hatte man das Gefühl eines unaufhörlichen Wachs-tums. Man hat kaum Müll getrennt und sich mit Sonnenöl ohne Lichtschutzfaktor in die Sonne gelegt. Es gab noch kein Internet.
In dem Sinne waren wir auch wenig vernetzt und konnten nicht so einfach über den Tellerrand schauen. Als Kind habe ich die „Wolken“, die aus den Fabriken kamen, zum Teil schöner empfunden als echte Wolken. Der Klimawandel wurde als Thema lange Zeit ausge-klammert. 2019 kam dieser extrem heiße Sommer, in dem es in Österreich kaum Niederschlag gab. Im darauf folgenden Herbst fegte ein Sturm in der Nähe des Attersees den Wald meiner Kindheit weg. Alle Bäume knickten um, weil sie keine Ressourcen mehr hatten. Für mich war das ein irrer, fast traumatischer Moment, in dem für mich alles Sinn gemacht hat. Ich wollte dieses Projekt so schnell wie möglich starten.

Trotz der klaren Faktenlage gibt es nach wie vor viele Skeptiker*innen, die den Klimawandel als erfundenes Phänomen darstellen. Finden solche Kontroversen Eingang in deine Arbeit?

Solche Haltungen sind für mich unverständlich. Realitätsverleugnung ist keine Kontroverse.

Mit welchen Quellen hast du gearbeitet?

Neben der allgemeinen Internetrecherche war „Der Symbiotische Planet“ von Lynn Margulis inspirierend. Schon davor habe ich viel über das Anthropozän gelesen, unter anderem von Donna Haraway, und „Xenogenesis-Trilogie“ von Octavia Butler. Auch Science-Fiction hat mich interessiert wie „Der Schnitt durch die Sonne“ von Dietmar Dath, „Trisolaris“ von Cixin Liu, „2312“ von Kim Stanley Robinson sowie Filme, in denen die Figuren versuchen, zur Sonne zu fiegen. Und nicht zu vergessen Lars von Triers „Melancholia“. Weiters Sonnendarstellungen in der Kulturgeschichte, Mythologie und bildenden Kunst. Irgendwann gab es den Moment, an dem die Sonne ein Gesicht bekam – immer ein lächelndes. Auch Kinder malen die Sonne mit Pünktchen und Strahlemund. Und dann habe ich mit Astrophysiker*innen gesprochen, also jenen Leuten, die Richtung Sonne schauen und analysieren, was auf diesem Gas- und Plasmakörper vor sich geht. Es war spannend zu erfahren, wie sich die Sonne aufbaut oder dass sie zum Beispiel einen 11-jährigen Rhythmus hat.

Hat dich dabei irgendetwas überrascht?

Ja. In dem Buch „Die Sonne“ von Richard Cohen hat mich die Geschichte der Sonnenflecken fasziniert. Die Sonne ist nicht nur „rein“ und „schön“. Als die Wissenschaft die Flecken entdeckte, hat die Kirche protestiert, denn das passte gar nicht in das Bild der „unbefleckten“ Sonne. Schon im 17. Jahrhundert hat man der Wissenschaft nicht vertraut und nicht zugehört.

Mit welchem Bewegungsmaterial hast du dich dem Thema genähert?

Wie performt Doris Uhlich die Sonne? Ein Himmelskörper bewegt sich anders als der Mensch oder ein anderes Lebewesen auf der Erde. Rotation, Ruhe, die Beständigkeit einer Existenz – all das hat mich körperlich interessiert. Und natürlich auch Eruptionen, Massenausbrüche, Plasmastöße, Plasmaloops ... als Tänzerin versucht man all das im eigenen Körper zu übersetzen. Auch tanzgeschichtliche Interpretationen habe ich mir angeschaut. Welche Menschen haben schon einmal als Sonne getanzt? Oder sich selbst als Sonne auf Erden bezeichnet? König Ludwig XIV. hat sich diesen Stern einfach angeeignet und damit bekundet, dass er über allen anderen steht. Eine ziemliche Anmaßung. Ich musste Entscheidungen treffen, was ich ins Stück hineinnehme – hier ist viel wieder rausgefallen, um nicht zu viele Themen anzuschneiden. Ich könnte mehrere Sonnenstücke machen.

Wie fühlt es sich für dich an, die Sonne zu performen?

Ich bleibe immer Doris, die sich dem Ganzen tänzerisch annähert. In meiner Fantasie gibt es einen Aspekt, der mich immer fasziniert hat: Die Sonne ist per se nicht aggressiv. Ich glaube nicht, und es ist natürlich immer meine Interpretation, dass sie aggressiv auf die Erde einwirken möchte. Das Problem ist die schwindende Ozonschicht, die ihre Strahlung auf die Erde destruktiv macht. Wenn wir Menschen sagen, dass „die Sonne heute so aggressiv ist“, dann schieben wir das Thema wieder woanders hin – nämlich zum Himmelskörper. Man schaut nicht auf die eigenen Gewohnheiten oder woher das Problem kommt.

Man verlagert die eigene Verantwortung …

Ja! Das hat mich so gereizt, dass ich dem auch körperlich nachgehen wollte: Wie ist das, wenn man Kraft hat, die man nicht dimmen kann? Die Sonne kann Leben zerstören, sie ist aber auch lebenspendend. Sie wird gefürchtet und verehrt. Sie ist eine ziemlich existenzielle Erscheinung.

Auf der Bühne performst du mit einem Kind – Romy Nagl. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Kinder von heute betreffen die Konsequenzen des Klimawandels am meisten. Je weniger Probleme wir Erwachsene jetzt lösen, desto mehr wird diese Generation spüren, welche fatalen Fehlentscheidungen wir getroffen haben. Insofern öffnet Romy für mich das Thema Zukunft. Andererseits interessiert mich aber auch, dass Romy wie ein Alter Ego für meine Kindheit steht. Als Kind hat man ein so offenes Herz und noch weniger Filter. Andererseits könnte sie auch die nächste Sonne sein. Denn auch unsere Sonne hat ein Ende. Sie wird sich irgendwann zu einem roten Riesen ausbreiten und dann zu einer abgekühlten Kugel schrumpfen. Aber das nächste Sonnensystem ist schon unterwegs. Es geht immer weiter. Die Menschen sterben vielleicht irgendwann aus; beim anthropogenen Klimawandel geht es aber um unsere Verantwortung für die folgenden Generationen und andere Lebewesen, die wir mitreißen.