Rechte Räume (in Frankfurt) – Stadtspaziergänge

Stephan Trüby & Philipp Krüpe

(c) Luisa Hanika
(c) Luisa Hanika

Rechte Räume (in Frankfurt) – Stadtspaziergänge

Stephan Trüby & Philipp Krüpe

Angesichts des rechten Aufschwungs in Deutschland und Europa liefert das Projekt „Rechte Räume (in Frankfurt)“ einen Beitrag zur Re-Politisierung des Architektur- bzw. Raumdiskurses und zur Spatialisierung des Politikdiskurses. Es besteht aus Stadtspaziergängen (am 7. und 8.9.2019) und einem „Bericht einer Europareise / Symposion“ in Kooperation mit der Zeitschrift ARCH+ (am 8.9.2019). Die Stadtspaziergänge führen zu Orten in Frankfurt, die in der Zeit vor 1933, während des Nationalsozialismus oder nach 1945 als ideologisch umkämpfte „Rechte Räume“ gelesen werden können. Expert*innen berichten über deren Geschichte und politische Instrumentalisierung.

Infos

Treffpunkt und Start: Mousonturm, Foyer
Sprache: Deutsch

Als Unterzeichner der Frankfurter Erklärung der Vielen lädt das Künstlerhaus Mousonturm zu den Stadtspaziergängen „Rechte Räume in Frankfurt“ ein.

Beteiligte und Förderer

Mit: Stephan Trüby, Philipp Krüpe, Anna Yeboah, Tina Hartmann, Katja Thorwarth, Jürgen Steinmetz, Philipp Sturm und der Initiative Studierender am IG Farben Campus

Eine Veranstaltung im Rahmen des Festivals „Unfuck My Future. How to Live Together in Europe” in Kooperation mit ARCH+ (Zeitschrift für Architektur und Urbanismus) und dem IGmA (Institut für Grundlagen moderner Architektur und Entwerfen der Universität Stuttgart). Gefördert im Rahmen des Bündnisses internationaler Produktionshäuser von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie von der Bundeszentrale für politischen Bildung.

Mehr Informationen

Neue Frankfurter Altstadt
Wir haben das Haus am rechten Fleck

Die gefeierte neue Frankfurter Altstadt geht auf die Initiative eines Rechtsradikalen zurück. Das ist kein Zufall.

Von STEPHAN TRÜBY

Die „neue Frankfurter Altstadt“, jene Ansammlung von rekonstruierten und in Stil und Kubatur alter Häuser neu errichteter Gebäude, die zurzeit dort entsteht, wo einst das brutalistische technische Rathaus stand, ist ein Lieblingsprojekt der Frankfurter Lokalpolitik geworden. Die drängendsten Probleme der Stadt, die Frage des bezahlbaren Wohnraums und einer „Stadt für alle“ löst das rekonstruierte Viertel zwar auch nicht im Ansatz – aber das will es auch gar nicht, und als touristisch vermarktbares Bild eines Altstadtidylls, durch das bald Massen an futter- und einkaufsfreudigen Touristen geschleust werden können, verspricht die neue Frankfurter Altstadt ein Erfolg zu werden. Schon deswegen streiten SPD und CDU, wem das Urheberrecht an ihr gebührt, wer sich damit brüsten darf, Erfinder des rekonstruierten Herzens der Stadt zu sein. Doch weder der einen noch der anderen Partei gebührt diese Ehre – und es gibt gute Gründe dafür, warum man in Frankfurt auch lieber nicht so genau wissen will, auf wessen Initiative das neue Renommierprojekt zurückgeht.

Die Rekonstruktionsarchitektur entwickelt sich in Deutschland derzeit zu einem Schlüsselmedium der autoritären, völkischen, geschichtsrevisionistischen Rechten. Denn hinter gleich zwei glänzenden Architekturoberflächen neu errichteter oder noch neu zu errichtender Geschichtsbilder verbergen sich mitunter Machenschaften von Rechtsradikalen und selbst Rechtsextremisten, die mit Hilfe eines scheinbar nur-ästhetischen Diskurses zunehmend politische Terraingewinne im lokalstolzen, kulturell interessierten, aber teils eben auch politisch naiven Kulturbürgertum verbuchen können.

Ein Fall ist dabei mittlerweile recht bekannt. Denn wie im vergangenen Jahr schon etwa Philipp Oswalt in der Frankfurter Allgemeinen dargelegt hat („Rückenwind vom rechten Rand“, F.A.Z. vom 14. August 2017), geht die derzeit in Arbeit befindliche Rekonstruktion der Potsdamer Garnisonkirche auf Aktivitäten der Iserlohner Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel e.V. und ihres ehemaligen Vorsitzenden Max Klaar zurück, einem Oberstleutnant a.D., der wiederholt die Schuld Deutschlands am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Frage stellte und mit seinem „Verband deutscher Soldaten“ und der Zeitschrift „Soldat im Volk“ vom Bundesverteidigungsminister als rechtsextrem eingestuft wurde. Zwar zog sich Klaar 2005 aus dem Rekonstruktionsprojekt zurück, aber erfolgreich war er dennoch: Seit 2017 ist die Kirche im Bau – gestützt von einer breiten Koalition in Kirchen, Politik, Wirtschaft und öffentlichem Leben.

Der Initiator schrieb Aufsätze für rechte Blätter

Weitgehend unbekannt ist der zweite Fall: Während in Potsdam mit der Garnisonkirche die Initiative eines Rechtsextremisten nur zu einem – wenngleich höchst symbolischen – Einzelbau führt, führte in Frankfurt am Main die Initiative eines Rechtsradikalen mit Verbindungen ins extremistische Milieu zum Neubau eines zentralen Stadtteils der wichtigsten kontinentaleuropäischen Finanzmetropole. Claus Wolfschlag, ein 1966 geborener Autor der Neuen Rechten, der seine ersten Aufsätze Ende der achtziger Jahre in der NPDnahen Zeitschrift  „Europa“ veröffentlichte und seitdem in stramm rechten Blättern wie der „Jungen Freiheit“, den „Burschenschaftlichen Blättern“, der „Preußischen Allgemeinen Zeitung“ oder auch in Götz Kubitscheks rechtsradikaler „Sezession“ publiziert; dieser Claus Wolfschlag, der offen antisemitische Publikationen wie „Zur Zeit“ und nationalrevolutionär bis rechtsextrem orientierte Zeitschriften wie „Wir selbst“ oder „Volkslust“ mit Beiträgen beliefert, hat im September 2005 als Fraktionsmitarbeiter jenen Antrag Nummer 1988 der „Freien Wähler BFF (Bürgerbündnis für Frankfurt)“ formuliert und dem Stadtverordneten Wolfgang Hübner überreicht, in dessen Folge 2006 der BFF-nahe Verein „Pro Altstadt e.V.“ gegründet und der kurz zuvor noch preisgekrönte Wettbewerbsentwurf für das Areal von KSP Jürgen Engel Architekten für das Areal gekippt wurde.

Nach und nach wurde sodann der Weg frei gemacht für die Rekonstruktion von fünfzehn Altstadthäusern zwischen Dom und Römer. Die Website des Pro Altstadt e.V. benennt heute Wolfschlag und Hübner als „Väter der  Wiederaufbau-Initiative“. Auf die Frage, ob er sich als „Vater der neuen Altstadt“ sieht, antwortete Wolfschlag kürzlich, für ihn habe das Ganze wie eine Gaswolke in der Luft gelegen, die er nur noch zu entzünden brauchte. Wolfschlags zündende Idee hatte leichtes Spiel in einer Metropole, in der Musealisierungsund Historisierungstendenzen in der Altstadt schon um 1900 einsetzten. Nach 1945 war es vor allem die 1951 abgeschlossene Rekonstruktion des  Goethehauses am Großen Hirschgraben durch Theo Kellner, die als „Schlüsselbau lokaler und nationaler Selbstverortung nach der Stunde null“ gelten darf. Walter Dirks, Mitherausgeber der „Frankfurter Hefte“, gehörte damals zu den artikuliertesten Gegnern dieser Rekonstruktion. Er begründete seine ablehnende Haltung damit, dass nur die Schicksalsannahme Goethes würdig sei; dass es entscheidend sei, „die Kraft zum Abschied zu haben, zum unwiderruflichen Abschied“; dass man „sich selbst und niemandem in frommer Täuschung vorschwindeln“ sollte, das Haus sei „eigentlich doch da“. Hinter Dirks Haltung stand – aus heutiger Sicht völlig zu Recht – die Sorge, dass man mit einer Rekonstruktion die Spuren des Nationalsozialismus und damit auch der eigenen Schuld löschen wollte. Wenig später ging Frankfurt erst so richtig in die geschichtsrevisionistischen Vollen, und zwar mit der Rekonstruktion der Ostzeile des Römerbergs, die von 1981 bis 1983 erfolgte.

Auf dünnster bauhistorischer Informationsgrundlage

Unter größtem Protest vieler Architekten und Denkmalpfleger und auf dünnster bauhistorischer Informationsgrundlage entstand ein Quartier aus teils frei erfundenen Geschichtssimulationen. Das Frankfurt unter Oberbürgermeister Walter Wallmann zwischen 1977 und 1986, in das die Komplettierung der Ostzeile fällt, brachte den ersten Versuch einer westeuropäischen Stadt hervor, das Lokale mittels historisierender Referenzen in den Dienst einer globalen Standortpositionierung zu stellen.

Einer neoliberalen Standortpositionierung, die derzeit Gefahr läuft, gleichsam durchzudrehen. Denn mit ihr könnten illiberale Ideologeme in den Mainstream vermeintlich kultursinniger Stadtbürgerlichkeit eingespeist werden. Für nichts anderes steht Wolfschlags Architekturtheorie, die zusammengefasst in einem längeren Aufsatz vorliegt, der den Titel „Heimat bauen“ trägt und 1995 veröffentlicht wurde. In dem Text, der in dem vom ehemaligen NPD- und DVU-Funktionär Andreas Molau herausgegebenen Sammelband „Opposition für Deutschland“ erschienen ist und in dem auch der Stuttgarter Rechtsextremist und Bauunternehmer Hans-Ulrich Kopp (Lautenschlager + Kopp), der
Münchner NPD-Aktivist Karl Richter und der Holocaust-Leugner und Neonazi Germar Rudolf mit Einlassungen vertreten sind – in diesem Sammelband plädiert Wolfschlag für eine Aufwertung des Architekturthemas in rechten und rechtsradikalen Kreisen. So heißt es: „Wer von Volk und Heimat reden will, kann von der Architektur (in und mit welcher das Volk ja schließlich lebt) wohl nicht schweigen.“

Im Folgenden schimpft er über die „Asyllobby“ und „die herbeigewünschten fremden Völker“ – und empfiehlt einen sofortigen Stopp von Neubauten: „Jede weitere Bautätigkeit versiegelt zusätzlich ökologisch wertvolles Grünland oder fördert zumindest die weitere Verstädterung des deutschen Siedlungsgebietes.“ Moderne Architektur lehnt Wolfschlag grundsätzlich ab, vor allem „weil sie sich der Erde“ schäme: „Eine menschliche Architektur möchte ihre Verwurzelung mit der Erde wieder sichtbar machen.“ Wenngleich Wolfschlag mit historisierenden Modellstädten wie dem von Léon Krier für Prince Charles erbauten Poundbury in Dorset durchaus sympathisiert, sieht er die Zukunft des Bauens nicht in einem Krierschen Klassizismus, der ihm dann doch zu internationalistisch ist, sondern in einer „national gesinnteren“ Formensprache: „Großdenkmale wie das Leipziger Völkerschlachtdenkmal von 1913, zahlreiche Bismarck-Türme, die am organischen Jugendstil ausgerichteten Tempelentwürfe des Malers Fidus oder die in der NS-Zeit fertiggestellte Ordensburg Vogelsang von Clemens Klotz können als Anregungen dienen, wie eine sorgfältig
plazierte, nicht antikisierende Monumentalität aussehen kann. Wuchtige Natursteinblöcke, die wie ein frühzeitliches Hünengrab in die Landschaft herauszustrahlen scheinen. Rundungen und Höhlen passen eher in nordische Gefilde als glatte, marmorne Pfeilerreihen.“

Für die Rückgewinnung einer Frankfurter „Seele“

Exakt zehn Jahre später, im Altstadt-Rekonstruktionsantrag der BFF-Fraktion im Römer, schluckte derselbe Ideologe Kreide und warb erfolgreich für eine „Stadtheilung“, für die Rückgewinnung einer Frankfurter „Seele“ – um dann in einem 2007 erschienenen Artikel in der Quartalszeitschrift „Neue Ordnung“, die das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes im Rechtsextremismus verortet, wieder deutlicher zu werden: Unter dem Titel „Rekonstruktion. Zur Wiedergewinnung architektonischer Identität“ ruft Wolfschlag zum Ende des „Schuldkultes“ mit Hilfe einer „Wiedergewinnung des historischen Bauerbes“ auf.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht hier nicht darum, Rekonstruktionen als solche zu skandalisieren. Rekonstruktionen im Sinne von Wiederherstellungen nach Katastrophen und Kriegen sind eine historische Selbstverständlichkeit. So brachte der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg eine beachtliche Bandbreite verschiedenster kulturell überzeugender Architekturpositionen hervor, von denen gerade die „Kompromissformen“ zwischen den beiden Extrempositionen „idealisierende Rekonstruktion“ und „Abriss von Kriegsruinen und moderner Neubau“ – denkt man etwa an Rudolf Schwarz’ Paulskirche in Frankfurt am Main (1947–1948) oder an Hans Döllgasts Alte Pinakothek in München (1946–1957) – zu Meisterwerken von bleibendem Wert führten.

Nicht zuletzt auf diese Vorbilder berief sich denn auch das Team um David Chipperfield bei der Rekonstruktion des Neuen Museums in Berlin (1996–2009), mit der der gänzlich zerstörte Nordwestflügel und der Südostrisalit des Museums in der Hauptstadt in enger Anlehnung an die ursprünglichen Volumina und Raumfolgen neu errichtet und die erhaltenen Bauteile restauriert und ergänzt wurden. Entstanden ist ein virtuoses Amalgam von Vergangenheit und Gegenwart, das die Brüche der Geschichte sichtbar hält und auch künftigen Generationen komplexes Anschauungsmaterial für die Diskontinuitäten der Zeitläufte bietet.

Ganz anders die neue Frankfurter Altstadt: skandalös ist hier, dass die Initiative eines Rechtsradikalen ohne nennenswerte zivilgesellschaftliche Gegenwehr zu einem aalglatten Stadtviertel mit scheinbar bruchlosen Wiederholungsarchitekturen führte; historisch informiertes Entwerfen verkommt damit zum unterkomplexen Heile-Welt-Gebaue, das Geschichte auf ein eindimensionales Wunschkonzert reduziert. Vergangenheit soll für dieses
Publikum wie geschmiert laufen, und zwar in Richtung einer alternativen Historie für Deutschland: Einer Historie, in der der Nationalsozialismus, die deutschen Angriffskriege und der Holocaust allenfalls noch als Anekdoten einer ansonsten bruchlosen Nationalgeschichte überleben.

Stephan Trüby ist Professor für Architektur und Kulturtheorie und Direktor des Instituts Grundlagen moderner Architektur und Entwerfen (IGMA) an der Universität Stuttgart.

Quelle: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 8. April 2018

Links zur Rechte-Räume-Debatte