DOʼs & DONʼTs FRANKFURT/MAIN - Eine Fahrt nach allen Regeln der Stadt

Rimini Protokoll (Begrich/Haug/Karrenbauer)

(c) Jörg Baumann
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DOʼs & DONʼTs FRANKFURT/MAIN - Eine Fahrt nach allen Regeln der Stadt

Rimini Protokoll (Begrich/Haug/Karrenbauer)

Die Stadt stellt ein riesiges Laboratorium zur Beobachtung alltäglichen menschlichen Verhaltens dar, und in diesem Labor gibt es Regeln. Es gibt Do’s und Don’ts. Was ist erlaubt, und was ist verboten? Wie wäre es, ohne Regeln zu leben? Und welche Regeln brauchen wir in der Zukunft? In der neuen Produktion von Rimini Protokoll sitzen die Zuschauerinnen und Zuschauer in einem LKW, der zu einem mobilen Zuschauerraum umgebaut wurde. Durch ein großes Fenster schauen sie hinaus auf die Stadt. Auf der Fahrt wird das System unserer urbanen Ordnung unter die Lupe genommen: Gesetze, Normen, Rituale, ausgesprochene und unausgesprochene Arrangements, sichtbare und unsichtbare Codes. In der Fahrerkabine sitzt neben dem Fahrer ein Kind. Es leitet diesen großstädtischen Laborversuch – mit großer Klarsicht, Härte und Konsequenz eines Spiels, das nach den vorgegebenen Regeln zu Ende gespielt werden muss.

 

Infos

Start: Künstlerhaus Mousonturm
All-In 12+
Dauer: ca. 120 Min.
Sprache: deutsch
Mousonturm-Produktion
Mit: Rudolf Bühne, Arun Tönsmann, Lineke Lankenau, Isaak Kudaschov und dem Chor des Rosa-Luxemburg-Gymnasiums Berlin unter der Leitung von Christoph Rosiny
Konzept, Text, Regie: Helgard Haug, Jörg Karrenbauer
Konzept, Dramaturgie: Aljoscha Begrich
Regie Frankfurt/M.: Helgard Haug
Mitarbeit: Meret Kiderlen
Komposition: Barbara Morgenstern
Video Director: Mischa Leinkauf
Video Adaption Frankfurt/M.: Arne Strackholder
Sound Design: Frank Böhle

Eine Produktion von Rimini Apparat. In Koproduktion mit HAU Hebbel am Ufer, Goethe Institut / Performing Architecture Venedig, Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt, PACT Zollverein, Tafelhalle Nürnberg/Bewerbungsbüro Kulturhauptstadt Europas, Internationales Sommerfestival Kampnagel und National Theatre of Scotland. Die Produktion wird gefördert durch die Senatsverwaltung für Kultur und Europa. DO’s & DON’Ts FRANKFURT/ MAIN wird gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen des Bündnisses internationaler Produktionshäuser, den Kulturfonds Frankfurt RheinMain  und das Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst. In Kooperation mit Starke Stücke 2019 und unterstützt durch die OPG Offenbacher Projektentwicklungsgesellschaft mbH.

Die Einnahmen der zwei Veranstaltungen am 23.3. werden für die Aktion "Frankfurt Deine Kinder - Raus aus dem toten Winkel" gespendet.

Mehr Informationen

"Wer bestimmt, woran wir uns zu halten haben?"

Rimini Protokoll lädt das Publikum auf die Ladefläche eines LKWs und schickt es auf eine rollende Erkundungstour quer durch die Stadt. Unter Anleitung Minderjähriger geht es um Erlaubtes und Verbotenes, die „DO’s & DON’Ts“ im öffentlichen Raum.

VON PATRICK WILDERMANN

Es ist schon erstaunlich, was man auf einer Bühne alles darf. Nasepopeln, nackt sein, andere schlagen, öffentlich pinkeln, den Holocaust leugnen und vieles mehr. Wenn die Regeln der Kunst gelten, ist die Freiheit fast grenzenlos. Draußen in der Stadt und dem Rest der sogenannten Wirklichkeit, sieht die Sache schon anders aus. Aber wie genau eigentlich? Das versucht in der Inszenierung „DO’s & DON’Ts“ ein ziemlich aufgewecktes Kind zusammen mit dem Publikum herauszufinden. Anfangs hält es dazu seine kurze Lecture übers Theater, per Video, das im dunklen Inneren des Trucks projiziert wird, wo das Publikum sitzt. Ganz recht, der Schauplatz ist ein Lastwagen, in dem früher Schweinehälften transportiert wurden. Das Performance-Kollektiv Rimini Protokoll setzt unter Anleitung Minderjähriger eine rollende Erkundungstour durch den urbanen Raum in Gang. Im Untertitel: „Eine Fahrt nach allen Regeln der Stadt“. Es geht um geschriebene und ungeschriebene Gesetze, um Verbote und Grauzonen, um Fehlverhalten und Konformität. Und nicht zuletzt um die Frage: Wer bestimmt eigentlich, woran wir uns zu halten haben? Eltern, Gesetze, eine höhere Moral? Während der Mehrtonner sich in Bewegung setzt, wird der Blickschutz hochgefahren und gibt den Vorhang frei auf den fließenden Verkehr. Durch die verglaste, von außen nicht einsehbare LKW-Seite schaut man auf Menschen, Alltagsszenen, Häuserkulissen. Derweil unterhalten sich, per Lautsprecher nach innen übertragen, im Fahrerhaus das Kind und der Chauffeur über allerlei „DO’s“ und „DON’Ts“. Rudolf „Rudi“ Bühne heißt dieser Fahrer- Performer, ein klassischer Selbstdarsteller aus dem Kosmos der „Experten des Alltags“ von Rimini Protokoll. Er hält nicht so viel von Verkehrsregeln und rühmt sich seiner „siebeneinhalb Punkte“ in Flensburg. Alle wegen Geschwindigkeitsüberschreitung gesammelt. Das kann ja heiter werden. Dieser von Helgard Haug, Jörg Karrenbauer und Aljoscha Begrich ersonnene Trip durchs großstädtische Regelgeflecht führt über die „Bei Rot musst du stehen“-Binsen sehr bald an deutlich neuralgischere Punkte des Zusammenlebens. An „kbOs“ zum Beispiel, im Polizei- Jargon „kriminalitätsbelastete Orte“, wie es sie in jeder Großstadt gibt, bevorzugt rund um Bahnhöfe und Rotlichtviertel. Muss man die hinnehmen oder meiden? Oder würden mehr Kameras, am besten mit Gesichtserkennung, mehr Sicherheitsgefühl schaffen? Wohin führt überhaupt die Forderung nach permanenter Gesetzestreue und Wohlverhalten? Zu einem Bonitätsprinzip inklusive Denunziation durch die Nachbarn, wie aktuell in China erprobt? Vielleicht regeln solche Fragen ja in Zukunft auch die Großkonzerne für uns, die dem Begriff Gentrifizierung eine ganz neue Dimension verleihen, während sie an der „Smart City“ der Zukunft basteln. „DO’s & DON’Ts“ setzt aber nie den einseitigen antikapitalistischen oder antiautoritären „Es ist verboten zu verbieten!“-Blinker. Die Inszenierung des Realen lässt Raum für Ambivalenzen, spätestens, wenn ein renitenter
Teenager ins Spiel kommt, der mit seinem altklugen Rebellengestus gehörig auf die Nerven fällt. Ganz ohne Erziehung geht’s eben auch nicht, ob bei Kindern oder LKW-Fahrern. Diese tolle Entdeckungsfahrt auch aus kindlicher Perspektive zu lenken, ergibt dabei absolut Sinn – weil so die sichtbaren und unsichtbaren Geflechte der Politiken, die jeden Stadtraum überwuchern, mit naiver Neugier befragt werden können. Immer wieder verlinkt das Regie-Team das Thema auch mit der Familie, wo ja die Aushandlung von Dürfen und Nicht-Dürfen beginnt. Benimmregeln sind nur auf der Bühne außer Kraft gesetzt.