I Love You, Goodbye (Unfuck My Brexit Edition)

Gob Squad

(c) Dorothea Tuch
(c) Dorothea Tuch
(c) Dorothea Tuch

I Love You, Goodbye (Unfuck My Brexit Edition)

Gob Squad

Wir leben vielleicht nicht mehr dort, wo wir geboren sind, dennoch tragen wir Teile unserer Herkunft weiter mit uns herum: die als Konfliktbewältigung zubereitete Quarkspeise unserer Oma, Beans on Toast als Zeichen unserer Arbeiterklassen-Herkunft oder die Frankfurter Grüne Soße, die sich seit Goethes Zeiten kaum verändert hat. Wie wichtig ist das Verständnis unserer Wurzeln für ein Europa der Zukunft? Wie viel Identität brauchen wir? Gob Squad sind als deutsch-britisches Kollektiv durch Studienaustausche in den 1990er Jahren entstanden. In der Frankfurter Edition des ursprünglich für die Nacht des Brexit konzipierten Abends schauen sie erstmals auf das, was sie trennt. „I Love You, Goodbye“ ist kein Theater, sondern eine 6-stündige Situation kurz vor dem Kollaps. Es wird gesungen und gekocht, gegessen und diskutiert. Und Entscheidungen müssen getroffen werden. Von uns allen. Wir müssen noch einmal reden, bevor die Idee von Europa möglicherweise auseinanderfällt...

Infos

Dauer: 360 Min.
Sprache: Deutsch und Englisch
Uraufführung der Frankfurter Fassung
Im Anschluss Eröffnungsparty

Beteiligte und Förderer

Von und mit: Gob Squad

Eine Produktion von Gob Squad. In Koproduktion mit HAU Hebbel am Ufer Berlin und FFT Düsseldorf. Gob Squad Arts Collective erhält institutionelle Förderung im Rahmen des Konzeptförderungszeitraumes (2015 – 2019) des Landes Berlin, Senatsverwaltung für Kultur und Europa. Gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen des Bündnisses internationaler Produktionshäuser, durch die  Bundeszentrale für politischen Bildung sowie durch das NATIONALE PERFORMANCE NETZ (NPN) Gastspielförderung Tanz aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.

Mehr Informationen

Trennungsschmerzen

von Falk Schreiber

Time to say goodbye. Gob Squad, die deutsch-britischen Live-Art-Urgesteine, sind mittlerweile in dem Alter, in dem nicht mehr der richtige Musikgeschmack ausschlaggebend ist, das Einkommen oder der Wohnort. Sie sind in dem Alter, in dem man sich von Menschen und von Dingen verabschiedet, wohl wissend: Die kommen nicht wieder. Am Düsseldorfer Forum Freies Theater verabschiedeten sie sich im Frühjahr von der analogen Welt: Das Internet ist mittlerweile in all unsere Lebensbereiche vorgedrungen, also inszenierten sie ein letztes Ritual, sechs Stunden ohne Netz.

Vielleicht ist der Abschied von der analogen Welt längerfristig der wichtigere Abschied. Für Gob Squad aber, die in den Neunzigern an den Hochschulen Nottingham und Gießen gegründete und mittlerweile in Berlin ansässige Gruppe, ist ein anderer Abschied drängender: Großbritannien, Herkunftsland von vier der sieben ständigen Mitglieder, löst sich in einem quälenden Prozess aus der EU, und das sorgt nicht nur für Probleme bei internationalen Touren, das sorgt vor allem für eine existenzielle Verunsicherung, wenn man bislang Europa als Heimat verstanden hatte. Zeit also für rituelles Abschiednehmen von Großbritannien. Zeit für Tränen, für Umarmungen, für das, was Heimat für einen bedeutet: für Essen. „I Love You, Goodbye“ ist über weite Strecken eine Kochshow, in der die gemeinsamen Erinnerungen zu ikonographischen Gerichten werden, Quarkspeise hier, Beans on Toast da.

Berit Stumpf und Sean Patten von Gob Squad sitzen in einem Café in der Düsseldorfer Innenstadt. „In einer Welt, in der nationale Grenzen wichtiger werden, in einer Welt, in der der Brexit Großbritannien von der EU trennt, sagen wir als binationale Gruppe: Bevor wir uns trennen, möchte ich, dass der andere mich versteht!“, beschreibt Patten das Konzept. „Wenigstens einmal. Und um mich wirklich zu verstehen, muss mein Gegenüber das Gericht, das ich koche, verstehen.“ Patten bereitet in der Show einen Trifle zu, eine wuchtige Süßspeise, von der er selbst weiß, dass es mehr darum geht, dass der Trifle da ist, weniger darum, dass er schmeckt. Und Stumpf macht Frankfurter Grie Soß, ein Gericht, das zwar immer mit den gleichen sieben Kräutern hergestellt wird, dessen Feintuning aber von Haushalt zu Haushalt variieren kann. Und vielleicht versteht man den Briten und die Hessin tatsächlich ein wenig, wenn man diese Gerichte sieht.

Man sollte nicht den Fehlschluss ziehen, dass solch ein finales Kennenlernen bei der Trennung einfach sei – spätestens bei der Frage, ob man die Kräuter für Grie Soß mit der Küchenmaschine zerkleinern dürfe, versteht Stumpf keinen Spaß mehr und macht ihren Mitspielern die Küchenarbeit zur Hölle. Da geht der Abend ans Eingemachte, sagt: Wir ziehen uns hier vor euch aus, das ist ernst. „Wir fokussieren uns diesmal eher auf die kulturellen Unterschiede, auf das, was uns trennt“, sagt Stumpf, „nicht das, was uns eint.“ Trennungsschmerz. Das nationale Thema tritt da in den Hintergrund: „Es geht hier nicht nur um die Unterschiede zwischen England und Deutschland“, stellt Patten klar, „es geht vielleicht auch um die Unterschiede zwischen Nord- und Südengland, womöglich geht es sogar um die Unterschiede von Dorf zu Dorf.“

Die Trennung in „I Love You, Goodbye“ ist in Wahrheit ein Zerfall. „Der Zerfall Europas ist ein größeres Thema, das über den kleinen‘ Brexit weit hinausgeht“, stellt Stumpf fest. „Die frühen neunziger Jahre, als wir uns zusammengefunden haben, kommen einem rückblickend wie eine sehr viel offenere und grenzüberschreitende Zeit vor – mit Erasmus, mit der Idee von Europa!“ Und Patten sekundiert: „Vielleicht haben wir den Höhepunkt der europäischen Integration schon lange hinter uns. Und jetzt geht es Richtung Mittelalter.“ Das Gespräch jedenfalls geht konsequent in Richtung Depression.

Was allerdings nicht auf „I Love You, Goodbye“ zutrifft. Denn trotz seines traurigen Anlasses hat der Abend auch viel Humor. Zumindest Galgenhumor.