Omphalos

Damien Jalet & CEPRODAC

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Omphalos

Damien Jalet & CEPRODAC

Tickets und Infos zum Stück: www.tanzfestivalrheinmain.de

Infos

Dauer: 60 Min.

Sponsors and Supporters

Leitung & Choreografie: Damien Jalet Sound Design
Sound Design: Ryuichi Sakamoto & Marihiko Hara
Zusätzlicher Soundtrack: Tim Hecker
Kostüme: Jean Paul Lespagnard
Bühnenbild: Jorge Ballina
Lichtdesign: Víctor Zapatero
Choreografische Beratung: Aimilios Arapoglou & Gabriela Ceceña
Dramaturgische Beratung & Inspizienz: Catalina Navarrete
Visuals: Daniel Lugo
Tanz: Ana Paula Ricalde Castillo, Bryant Pineda Torices, Claudia Nayeli Olvera Rodríguez, Ernesto Peart Falcón, Guillermo IV Obele Bustos, Guillermo Magallón Armenta, Héctor Manuel Ortíz Valdovinos, Ilse Orozco Corona, Jairo Cruz González, Jorge Emmanuelle Sanders Bustos, Juan Ángel Garnica Vázquez, Luis Alberto Ortega Valdez, María Alejandra Corona Pérez, Marlene Coronel Ortiz, Paulina del Carmen Fernández Sánchez, Paulino Josafat Medina Domínguez, Samantha Nevarez del Castillo, Sergio Anselmo Orozco, Yansi Méndez Bautista, Zurisadai de Jesús González Fuente

More Information

Im Nabel des Mondes

von Annette Stiekele

Alles beginnt mit einem schmalen Lichtstrahl, der sich zögerlich aus einem Loch in einer gigantischen Teleskopschüssel heraus tastet – ein beindruckendes Bühnenbild hat Jorge Ballina für das Stück „Omphalos“ des belgisch-französischen Choreografen Damien Jalet gebaut. Das Original der Schüssel in Mexiko-Stadt war nicht transportfähig, also musste der Raum für die europäischen Aufführungen von „Omphalos“ zur Premiere auf Kampnagel in Hamburg neu gebaut werden. Langsam beginnt sich die Schüssel zu drehen. Und auf einmal stehen da vier zottelige, farbig gewandete Adlerwesen im Halbrund. Bald ziehen sie archaische, am Kopf an langen Schläuchen hängende Gestalten wie an einer Nabelschnur aus dem Loch. Ein kraftvolles Bild.

„Omphalos“ ist Damien Jalets bis jetzt größte Gruppenarbeit. Sie verbindet Denken, Pop und Bildhaftigkeit zu einem verführerischen Hybrid. Jalet schuf zuletzt verstörend ästhetische Gruppenchoreografien für die Wiederauflage des Horrorklassikers „Suspiria“ von Regisseur Luca Guadagnino und arbeitete bereits mit weiteren berühmten Vertretern seiner Zunft, darunter Wim Vandekeybus, Erna Ómarsdóttir, Marina Abramović und vor allem Sidi Larbi Cherkaoui, an dessen legendärer Choreografie „Babel“ er maßgeblich beteiligt war. Auch Ausflüge in die Pop- Welt hat er unternommen, die Musik von Florence + The Machine oder Ólöf Arnalds in Bewegung übertragen. Zuletzt wandte er sich in Antwerpen der Oper zu – wiederum an der Seite Sidi Larbi Cherkaouis.

Kunst um der reinen Kunst willen ist Jalets Sache nicht. In „Omphalos“ zelebriert er gleich einen kosmischen Menschheitsreigen, frei nach jener griechischen Erzählung, in der Zeus zwei Adler zum Mittelpunkt oder „Nabel der Welt“ gesandt habe, welcher in Delphi ausgemacht und mit einem eiförmigen, glücksbringenden Stein (dem Omphalos) gekennzeichnet wurde. Weil die Produktion in Mexiko- Stadt mit den Tänzerinnen und Tänzern des Ensembles CEPRODAC entstand, hat Jalet aber auch tief in präkolumbianischen Mythen geforscht und diese mit wissenschaftlichen Erkenntnissen aufgeladen. Bald stieß er darauf, dass „México“ unter anderem „Nabel des Mondes“ bedeutet – und der Ausgangspunkt für seine eindringlichen, schlüssigen Bilder war gefunden. Jalet ist ein Suchender, der nach einem Ausgleich zwischen Mythologie und Wissenschaft strebt. Zwischen Ratio und Na(t)ivität. Das muss nicht unbedingt mit Schönheit einhergehen, auch wenn man feststellen muss, dass die Bilder in „Omphalos“ roh und überwältigend ästhetisch zugleich sind.

Die sechzehn archaischen Wesen im Stück häuten sich zu blau-rot bemalten Schlangenmenschen, die rhythmisch atmend zu den hypnotischen, mit Widerhaken versehenen Klängen von Ryuichi Sakamoto und Marihiko Hara spiralförmig gegen die Gesetze der Gravität antanzen. Die Bewegungen fließen in diesem Ritual organisch ineinander, die Körper bilden mal ein taumelndes, mal ein vibrierendes Gebilde, erzählen von Zusammenhalt, von der Kraft des Kollektivs im Kampf gegen die Schwerkraft. Unterdessen hängen die vier Adler am Außenrand der Teleskopschüssel, die vier Himmelsrichtungen verkörpernd, außerhalb von Raum und Zeit. Anders als die acht Tänzerinnen und acht Tänzer im Innern der Schüssel, die der Unausweichlichkeit alles Irdischen und damit der Endlichkeit ausgeliefert sind.

Bevor es dazu kommt, dürfen sie aber in den hippen Streetwear-Kostümen von Jean-Paul Lespagnard wie von Radiowellen durchgeschüttelt ein ganzes buntes Menschenleben durchleben. Erst am Ende werden die Gesetze des Kosmos naturgemäß siegen, werden die Tanzenden in den Nabel der gigantischen Schüssel regelrecht eingesogen. Das hat etwas zugleich Dramatisches wie Folgerichtiges.

„Omphalos“ ist eine faszinierende tänzerische Reise. Deren Magie beruht nicht nur auf großartigen Bildern, die auf Überwältigung zielen: Sie stellt auch die richtigen, die entscheidenden Fragen in einem betörenden Gesamtkunstwerk aus Tanz, Bühne, Musik und Mode. Und ihr Schöpfer Damien Jalet offenbart, dass er auf der internationalen Bühne des Tanzes noch sehr viel errei chen will – und kann.