CUTLASS SPRING

Dana Michel

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CUTLASS SPRING

Dana Michel

In her haunting solo “CUTLASS SPRING” Canadian choreographer Dana Michel delves into the many facets of human sexuality. Drawing on her own biography, she explores how cultural repression and her life as a performer, a mother and a lover have shaped her sexual identity. What can we fall back on to bring buried parts of ourselves to the surface and how can we learn to listen to our own instincts and feelings in the midst of social constraints? Dana Michel is an artistic chameleon: among others awarded the Silver Lion at the Venice Biennale 2017, her choreographies deal with different layers of identity, with humour and without resorting to physical stereotypes.

Infos

Duration: approx. 60 min.
No language skills aquired
In the frame of Frankfurter Buchmesse 2020 Ehrengast Kanada

Admission to the hall starts 45 minutes before the show and ends 10 minutes before. Please be on time.
Admission only with face mask! More information on hygiene and safety

 

Sponsors and Supporters

Created and performed by: Dana Michel
Artistic Activators: Ellen Furey, Peter James, Mathieu Léger, Heidi Louis, Roscoe Michel, Karlyn Percil, Yoan Sorin, Alanna Stuart
Sound Consultant: David Drury
Lighting Design and Technical Direction: Karine Gauthier
Distribution: Key Performance, Koen Vanhove
Dana Michel an associate artist with Par B.L.eux.

Production: Dana Michel, Executive Production: Par B.L.eux, Co-production: Arsenic - Centre d’art scénique contemporain Lausanne (Lausanne, Switzerland), Rosendal Teater (Trondheim, Norway), Black Box Teater, (Oslo, Norway), Centre Chorégraphique National, d’Orléans (France), National Arts Center (Ottawa, Canada), Festival TransAmériques (Montreal, Canada), Julidans (Amsterdam, Netherlands), Kunstenfestivaldesarts (Brussels, Belgium), Montpellier Danse (France), Moving in November (Helsinki, Finland), Co-produced with the support of the Visiting Dance Artist Program, a joint initiative of the National Arts Centre and the Canada Council for the Arts.

Das Projekt ist Teil des Kulturprogramms von Kanadas Gastlandauftritt bei der Frankfurter Buchmesse 2020. Es wird unterstützt durch das Canada Council for the Arts und die Regierung von Kanada.

More Information

Ode an die Differenz

 

Die brillante Kakofonie der Dana Michel: Seit sie vor fünf Jahren auf die Bühnen der Welt trat, fällt die Choreografin aus Montréal im zeitgenössischen Tanzgeschehen völlig aus dem Rahmen. Mit ihrem jüngsten Werk „CUTLASS SPRING“ ist sie nun erstmals in Frankfurt zu erleben – einer Arbeit, die gerade für den Mousonturm geschaffen scheint.

 

VON ELSA PÉPIN

Mit ihrer Verbindung von Tanz, Theater und Kunstperformance hat Dana Michel eine eigenwillige Handschrift entwickelt, für die sie 2017 auf der Biennale von Venedig mit dem Silbernen Löwen für Tanz und 2019 als eine von bislang nur sechs Künstlerinnen und Künstlern mit dem begehrten europäischen ANTI Festival International Prize for Live Art ausgezeichnet wurde. Michel ist eine Bilderstürmerin unter den Choreografinnen und Tänzerinnen. Sie macht ihren Körper auf der Bühne zur Metapher für eine Öffnung zur Welt und schürft tief in ihrer Identität, um aus dem, was sie findet, eine hochgradig artifizielle und stilisierte Welt zu schaffen, wo Objekte ein Eigenleben finden.

Dana Michel lebt in Montréal und verfolgte zunächst eine Karriere im Leistungssport, vor allem als Läuferin und Fußballerin, bevor sie fünfundzwanzigjährig ihre ersten, noch stark von Mode und Videoclips, von queerer Kultur und Comedy geprägten Auftritte als Tänzerin hatte. Damals wie heute arbeitete sie mit einem Sammelsurium von Requisiten, Gesten und Bewegungsmaterial und verband dieses zu einer einzigartigen Formensprache. Daraus entstanden großartige, von Michel mit viel Eigensinn und Humor beseelte und verkörperte Assemblagen.

Nachdem „Yellow Towel“ 2013 beim Festival TransAmériques herauskam, beim Wiener ImPulsTanz-Festival einen Preis erhielt und Michel von der New York Times zu einer der wichtigsten Choreografinnen des Jahres 2014 gekürt wurde, ging ihre Karriere durch die Decke. In „Yellow Towel“ spielt sie mit Klischees, um diese gleich darauf besser auseinandernehmen zu können, und entfaltet eine seltsam zeitentrückte Wechselwirkung mit den Dingen. Wie zuvor entzündet sich auch hier ihr Einfallsreichtum an Alltagsgegenständen. Im Spiel mit einem Handtuch, einer Turnhose oder einem Küchenutensil holt sie aus den Tiefen ihres Gedächtnisses Erinnerungen hervor und erschließt diese wie eine Archäologin, die sich selbst freilegt, als Schichten des eigenen Selbst.

In „Yellow Towel“ beginnt Michel mit einem gelben Handtuch aus ihrer Schulzeit, das sie nutzte um die weißen Mädchen nachzumachen, und erzeugt daraus ein Geschöpf mit einer abstrakten Sprache – eine Art unschuldigen Clown, der in seiner Tollpatschigkeit ein unterdrücktes, am Leben gehindertes, hilfloses Geschöpf vorstellt. Hürden und Hindernisse, andauernder Kampf des Körpers um die eigene Existenz inmitten chaotischen Getriebes, Verrenkungen der Stimme und absurde Dialoge – all das vermittelt die Haltung der Ausgegrenzten. Die conditio nigra ist bei alldem nie weit weg, wird aber auch nie vordergründig bemüht. In einer Abfolge von Szenen eindringlicher Körperlichkeit, die Michel selbst „postkulturelle Bastelei“ nennt, paaren sich Objekte mit Episoden aus ihrer Lebensgeschichte. Ihr Körper wird zum Kreuzungspunkt des Realen und Imaginären, des zutiefst Persönlichen und Allgemeinen.

2016 folgte beim Festival TransAmériques in Montréal ein weiteres Stück, das von der Kritik gefeiert wurde: „Mercurial George“. Auch hier erkundet die Choreografin ihre durchlässige, wandelbare Identität. Bekleidet mit nichts als einer weißen Strumpfhose und Sportschuhen, barbusig und mit Katzenbuckel, entführt sie uns in eine grimmige Welt, in der ihr Körper taumelnd nach Halt sucht. In dem Unbehagen, das dieser Anblick auslöst, äußert sich zugleich unser eigenes tiefes Befremden angesichts all dessen, was anders ist, als wir es kennen.

Mit Unmengen von Requisiten, stimmlicher Variation, abgehackten Bewegungen und einer Aneinanderreihung von Tollpatschigkeiten veranschaulicht Michel das Ausgegrenztsein anhand eines Körpers, der wie in Ketten gelegt und doch nie zu fassen ist. „Mercurial George“ bestätigt Michels darstellerisches Vermögen, aus äußerster Verletzlichkeit eine tiefe Empathie für die Unterdrückten zu enthüllen. Ihrer präzisen Gesten wegen wurde sie mit Chaplin verglichen, ihr Humor erinnerte manche an den afroamerikanischen Schauspieler und Komiker Dave Chappelle. Und doch ist längst klar, dass wir es bei Dana Michel mit nichts und niemandem so sehr zu tun haben wie mit einer Verkörperung ihrer selbst in all ihrer unabweisbaren Originalität.

Noch während sie mit ihren ersten beiden Solostücken unterwegs war, zeigte Dana Michel im 2019 ihre nächste Produktion: „CUTLASS SPRING“. Das Stück handelt von Michels kulturellem Erbe und von den gesellschaftlichen Konditionierungen, die auf ihre geschlechtliche Identität Einfluss genommen haben. Deren verleugnete Teile will sie in diesem Stück zum Vorschein zu bringen und unsere allzu eng gefasste Vorstellung von Sexualität gründlich auf den Kopf zu stellen.

Ob sie sich mit dem Becken auf einer Matratze auf Rädern reibt, Eiswürfel verstreut oder einfach nur von der Bühne geht: „CUTLASS SPRING“ spielt mit der Distanz und Nähe zum Publikum und hält sich auf dem schmalen Grat zwischen gewagter Intimität und Exhibitionismus. Michel tanzt dabei so gut wie nicht und spricht kaum, bringt aber dennoch ihren Körper voll ein, um verschiedene Gegenstände zu erforschen. Ob Gabel, Telefon oder Kochplatte – alle treibt Michel über den Geltungsbereich ihrer Funktionen hinaus, ebenso wie ihren unablässig sich wandelnden Körper über die eigenen Grenzen. In Cowboykostüm, Boxershorts oder mit Goldkette um den Hals gibt dieses Chamäleon einer Künstlerin in einem Moment den Macho und schon im nächsten die grazile Geschmeidigkeit der Frau. Wie ein Kind entdeckt sie die Möglichkeiten des eigenen Körpers und der Welt, spielt sie mit erotischer Aufladung und ihrer Umlenkung.

Als Zuschauerin ist man beim Entschlüsseln dieses so komplizierten Verhältnisses einer Frau zu ihrem eigenen Körper und zu den anderen oft hin- und hergerissen zwischen Beklemmung und Lachen. Indem Michel sich mit stockenden oder scheiternden Gesten wie auf einem Magmastrom mal vergeblich versteckter, mal einverleibter Dinge mühsam vorankämpft, schafft sie daraus Symbole, Codes und Stereotypen, die aus ihr etwas machen, das sie zuvor nicht war. Sie führt uns vor, dass es besser ist, seinen inneren Eingebungen zu vertrauen als den Diktaten der Gesellschaft.

Als Ode an die Differenz und ebenso tiefgründiges wie vergebliches Streben, die vielen einander durchdringenden Schichten und Lagen ihrer Lebensgeschichte halbwegs auf einen Nenner zu bringen, entfaltet „CUTLASS SPRING“ eine großartige Kakofonie und bekräftigt eindrücklich Dana Michels Kampf gegen jede Form von Normierung. Ihre Werke sind zerbrechliche, fortwährend umgebaute Plastiken. Oder es sind Sittenbilder, in denen die Geschlechterfrage direkt in die nach dem Wesen des Menschseins überleitet. Allein indem sie uns wild entschlossen mit der Freiheit begegnet, ihren eigenen Weg zu gehen, hinterfragt Dana Michel die allzu engen Grenzen auch unserer Freiheit.

DEUTSCH VON HERWIG ENGELMANN