FP Extra

Ferdinand Schmalz

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Ferdinand Schmalz

Shortly before the start of the Frankfurter Positionen and afterwards, three more artists present the projects and commissioned pieces that they are producing for the festival. Bachmann prize-winner Ferdinand Schmalz deconstructs the ideals of civil society in his piece „Der Tempelherr“ as he inquires into the ways that we want to live (joyfully).

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FP Extra is being organized by the Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft of the Goethe-Universität Frankfurt am Main, the Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main and Künstlerhaus Mousonturm.

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„Das Theater ist ein Metaorganismus“
Im vergangenen Jahr gewann Ferdinand Schmalz den Ingeborg-Bachmann-Preis. Sein neues Stück „der tempelherr“ ist ein Werkauftrag der Frankfurter Positionen und wird im Schauspiel Frankfurt als Probenfassung vorgestellt. Peter Michalzik sprach mit dem Autor über das Theater, die Grenzen der Sprache und die Sehnsucht, raus aufs Land zu ziehen.

PETER MICHALZIK: Lass uns zuerst über deine Sprache sprechen. Als du vor fünf Jahren als Dramatiker begonnen hast – „am beispiel der butter“ war das erste Stück –, war deine Sprache ein Kunstidiom aus Dialekt und Diskurs. Es fällt mir auch „Volksstück mit Foucault“ ein, wenn ich mich zu erinnern versuche. Damals wirkte es so, als sei das Österreichische oder Steirische sehr wichtig für dich. Zu Beginn des Stückes „der tempelherr“, das jetzt uraufgeführt wird, hatte ich noch den Eindruck, ein Stück in süddeutscher Sprachfärbung zu lesen. Aber auch das hat sich im Laufe der Lektüre verloren. Es nähert sich klassischer Bühnensprache. Wie siehst du die Entwicklung deiner Sprache, deine Sprachanbindung?
FERDINAND SCHMALZ: Das stimmt, mit „am beispiel der butter“ und dann auch „dosenfleisch“ habe ich die Sprache sehr in die Kunstform getrieben. Bei „der herzerlfresser“ und „der thermale widerstand“ habe ich schon gemerkt, dass sich da etwas zwischen Sprachform und Genre spießt. Ersteres spielt ja auch mit Elementen der Verwechslungskomödie, während Letzteres eine Art Revolutionsposse ist. Da hab ich gemerkt, dass die Sprache nicht so überstilisiert und überrhythmisiert sein kann. Die Sprache musste einfach gelenkiger werden. In „der tempelherr“ wollte ich mich von Anfang an auch mit der Frage beschäftigen, wie wir unsere eigenen Mythen schaffen. Also auf einer ganz alltäglichen Ebene, wie erzählen wir uns selbst. Oder eben auch andere. Wie fügen wir alles, was um uns passiert, im Nachhinein in die Form einer Erzählung, um uns selbst Halt zu geben?

MICHALZIK: Wo ist für dich die Sprache, die deine Figuren sprechen? In deinem Kopf, in deinem Körper, bei den Figuren, an dem Ort, aus dem du kommst? Oder ist sie an einem noch anderen Ort? Kennst du diesen Ort?
SCHMALZ: Die Frage stellt man sich eigentlich immer nur, wenn einem die Sprache abhandengekommen ist. Wenn man in der Sprache ist, wenn es fließt, also alles zu Sprache wird, alles gelesen, alles geschrieben werden kann, dann ist sie überall. Und man mit ihr überall. Nur wenn dieser Fluss stockt, wenn er ganz versiegt, dann wird es schwierig. Manchmal ist man aus der Sprache völlig rausgeworfen, wenn man beispielsweise wieder mal sieht, wie verheerend Sprache sein kann. Wie sie Leute zu Heeren von Gesinnungsgenossinnen bündeln kann. Aber auch wenn man herausfordernden Sprachwerken wie von Horváth, Fleißer, Bernhard, Jelinek begegnet, kann einen das sprachlos machen. Dann fragt man sich: Wo ist sie hin, die Sprache? Josef Winkler hat mir mal gesagt, wenn du die Sprache verlierst, reisen hilft. Und tatsächlich findet man sie dann in einem verlassenen Bahnhof in Detroit, in einem Souvenirladen in Medjugorje, in einer Ausstellung über Tanznotationen, an den Bocche di Timavo unverhofft wieder.

MICHALZIK: Die Hauptfigur des „tempelherr“ spricht nicht. Alle um ihn herum reden, und es scheint, sie reden, weil er schweigt. Es ist, wie wenn sie für ihn sprechen würden.
SCHMALZ: Das alte Sprichwort am Theater, dass immer das Volk den König spielt, lässt sich, finde ich, auch auf „den Verrückten“ anwenden. Ich wollte, indem ich Heinars Geschichte nur von seinem Umfeld erzählen lasse, auch die Frage stellen: Wie sehr ist sein Wahnsinn nur ein von den Anderen in ihn hinein projizierter und wie wenig Andersheit oder Verrücktheit braucht es, um ein scheinbar funktionierendes Gefüge auszuhebeln? Oft haben Figuren wie Heinar die Wirkung eines Katalysators auf den Rest der Personage. Alle Konflikte, die da im Verborgenen geschlummert haben, brechen durch ihn, durch sein Aus-der-Reihe-Tanzen ans Tageslicht.

MICHALZIK: Das Stück spielt auf dem Land. Es geht um Wildnis, das Natürliche. „Natürlich kann sich das Natürliche von seiner schlimmsten Seite zeigen auch“, heißt es in dem Text, für den du den Ingeborg- Bachmann-Preis bekommen hast. Hast du eine Ahnung, eine Vorstellung, was das Natürliche sein könnte?
SCHMALZ: Das Seltsame an der Natürlichkeit ist, dass wir ihr meist einen positiven Charakter geben. In „Der Herbst des Mittelalters“ zeigt Johan Huizinga auf, wie der Begriff der Natürlichkeit erst in der Aufklärung seine positive Wendung bekam. Im Mittelalter hatte die Natürlichkeit einen viel gefährlicheren Beigeschmack, verwandt mit dem Kreatürlichen. Die Natur war damals noch viel mehr unbeherrschbare Wildnis, als es heute der Fall ist. Darüber hinaus haben wir es heute mit einer Natur zu tun, die sich nicht immer der Kultur gegenüberstellen lässt. Da so gut wie jede Natur da draußen kultiviert ist. Kaum ein Flecken Erde, der nicht von den Auswirkungen dieser Naturkatastrophe namens Menschheit unberührt bliebe.

MICHALZIK: „wir ziehn aufs land“, heißt es im Stück. Ist das für dich, angesichts von zu hohen Mieten in der Stadt und den Zumutungen der Zivilisation, eine ernstzunehmende Perspektive?
SCHMALZ: Ich frage mich oft, ob ich das könnte, zurück aufs Land gehen. Wenn ich in den Ferien zurück ins Dorf kehre, dann merke ich aber meist sehr schnell, dass ich es eh nicht viel länger als zwei Wochen
aushalte. Vielleicht ist das aber auch nur eine Sehnsucht, die uns Landmenschen von Zeit zu Zeit befällt. Manchmal habe ich das Gefühl, man ist vom Land in die Stadt aufgebrochen, weil man es dort nicht ausgehalten hat, ist aber nie wirklich in der Stadt angekommen. Wie ist es bei dir, du kommst doch auch aus einer eher ländlichen Gegend? Ja, und seit ich in der Stadt wohne, seit 35 Jahren, immer im Zentrum merkwürdigerweise, denke ich, dass ich aufs Land zurück möchte. Dabei habe ich es bis heute nicht einmal zur kleinsten Datsche gebracht. Ein eigenartig insistentes Gefühl sagt mir, das Leben findet auf dem Land statt. Es sagt auch, zum Schreiben muss man auf dem Land sein. Dabei folge ich dieser Stimme aber nicht. Was bist du denn für dich selbst: Dramatiker, Schriftsteller, Künstler? Das Komische ist, ich wollte nie wirklich Schriftsteller werden. Ich wollte dieses Image eines Schriftstellers nicht ausfüllen, im Kaffeehaus sitzen und mir über meinem Notizbuch die Haare zerraufen. Ich hab mich eher erschreckt als mich mal der Richter in einem Gerichtsverfahren, bei dem ich als Zeuge geladen war, fragte, was mein Beruf sei, nicht umhinkonnte zu antworten „Schriftsteller“. Da hab ich mir gedacht, jetzt ist es aktenkundig, dann also Schriftsteller. Mich interessiert nicht Literatur um der Literatur willen, ich
interessiere mich für Inhalte, oder besser für Verknotungen von Inhalten mit Sprache und Klang und Körpern und Bildern. Wenn ich diesen Dingen in anderen Medien nachgehen könnte, würde ich es machen, aber mit dem Pinsel bin ich zu ungeschickt und zum Tanzen hat mich der Erdboden zu gern.

MICHALZIK: Kannst du dich erinnern, als du, Ferdinand Schmalz, deinen Namen gewählt hast. Was war das damals? Welche Vorstellungen haben dich bewegt, was ist mit dir dadurch geschehen?
SCHMALZ: Zu der Zeit, also vor acht, neun Jahren, begann Facebook richtig groß zu werden, viele hatten mehrere Accounts, Alter Egos. Damals hatte ich mit ein paar Freunden und Freundinnen für einen Monat einen Marktstand unter dem Titel „Schwarzmarkt der Identitäten“ betrieben. Neben schlecht gefälschten Ausweisen, Schnurrbärten und „Anekdoten für ein Leben, das ich nie geführt habe“ gab es dort auch eine Kiste mit Zugangsdaten für Facebook Accounts. Dort lag auch Ferdinand Schmalz drinnen. Den wollte damals aber niemand haben. Dann bin ich darauf sitzen geblieben. Wenn wir die Namen von Autoren wie Steinbuch, Köck, Brunner, Albrecht, Palmetshofer, Svolikova, Lotz, Röggla oder Milisavljewic hören, dann denken wir immer an ihre Texte, an Eckpunkte von Biografien, Referenzen. Nur was hat das damit zu tun, wer diese Leute wirklich sind? Wir erzählen uns, erzählen uns immer wieder dieselben Geschichten über uns, bis wir sie selber glauben. Ein Künstlername ist der Versuch, diese Künstlichkeit zu markieren. Vielleicht sollten wir jeden Namen als Künstlernamen denken. Jede Biografie als die Biografie einer Hochstaplerin, eines Hochstaplers denken.

MICHALZIK: Du hast dich in einer Poetikvorlesung in Hamburg über die Rolle des Autors im Theater geäußert, hast von „kosmischer Distanz“ und „intimer Abgeschiedenheit“ gesprochen. Was ist die Rolle des Autors im Theater?
SCHMALZ: Ich denke, das muss jeder für sich selbst entscheiden, wie nahe man diesem seltsamen Gebilde kommt, das wir Theater nennen. Aber sicher ist, dass diese Distanz einen beeinflusst und die Texte, die man produziert. Natürlich leiden wir Autoren auch darunter, dem Trubel, dem Wahnsinn, der Magie, der Idee von Gemeinschaft, die diesen Bau bewohnen, fern zu sein. Aber ich glaube auch daran, dass in der Außenposition, die Autorinnen und Autoren haben, eine Grundqualität des Sprechtheaters liegt. Wie ist es dir da als Kritiker gegangen? Einerseits ist man Teil des Ganzen, andererseits, stell ich mir vor, dass es Leute gibt, die einen als Gegenspieler betrachten, oder?

MICHALZIK: Ja, als Kritiker gehört man dazu und man gehört nicht dazu. Man steht an der Außenlinie. Ein wenig schizophren, was mir aber gefiel. Ganz im Theater drin zu sein, erschien mir immer ein unhaltbarer Zustand, unerträglich. Diejenigen, die immer im Theater drin sind, sind meiner Ansicht nach sehr und manchmal auch zu sehr mit sich selbst und ihrer Community identisch, auch wenn sie auf Dissidenz beharren. Es ist meines Erachtens ein Problem, das das Theater mit sich selbst hat. Das Theater ist zu sehr in sich drin, mehr sogar als andere Institutionen wie Verwaltungsgerichte oder Rewe-Filialen. Wozu ist das Theater – tempelähnliche Gebäude, wie du sie genannt hast – deiner Meinung nach da?
SCHMALZ: In Bezug auf Ameisenkolonien spricht man oft von Metaorganismen, weil sich die einzelnen Individuen, wie Zellen in einem Körper, zu größeren Strukturen zusammenfügen. Das Theater ist kein Ding, das irgendeinen Zweck verfolgt. Es ist kein Instrument oder Mechanismus. Das Theater ist ein Metaorganismus. Martin Wuttke hat uns in Polleschs „Peking Opel“ schon darauf hingewiesen: „Ich bin die Ameise der Kunst!“ So wenig Sinn es machen würde zu fragen, wozu sind Ameisenhaufen da, so wenig Sinn macht eine solche Frage in Bezug auf das Theater. Natürlich gibt es Dinge, die von allgemeinem Nutzen sind – wie, dass der Waldboden von toten Insekten freigehalten wird, oder dass das neuerliche Aufkeimen des Faschismus verhindert wird. Aber das ist nicht der Grund, wozu sie da sind.